Bei schweren Autounfällen stehen die Rettungskräfte nicht selten vor einem kritischen Problem: Starke Deformationen am Fahrzeug können dafür sorgen, dass die Insassen nur schwer aus dem verunfallten Fahrzeug gerettet werden können. Deshalb werden Rettungshelfer – speziell die Einsatzkräfte der Feuerwehren – seit Jahrzehnten speziell darauf geschult, Fahrzeuge mittels Trenn- und Schneidewerkzeugen in kürzester Zeit zu öffnen. Hydraulische Rettungsscheren, Säbelsägen, Kettensägen oder Trenn- und Plasmaschneider gehören zum unersetzlichen Equipment der Rettungskräfte, schließlich zählt im Fall der Fälle jede Sekunde.
Kohlefaser: Der Wunder-Werkstoff der Zukunft
Bei Stahl- und Aluminiumstrukturen haben sich derartige Schneide- und Spreizwerkzeuge längst bewährt. Doch im Fahrzeugbau kommen neue Materialien zum Einsatz: Hochfeste Kohlefaserstrukturen sorgen in modernen Supersportwagen und Elektroautos für Verwindungssteifigkeit und ein vergleichsweise kleines Gewicht. Während der Werkstoff Carbon noch vor wenigen Jahren lediglich in Luft- und Schifffahrt oder im Motorsport zum Einsatz kam, findet auch die Automobilindustrie zunehmend Gefallen an Faserverbundwerkstoffen mit Carbon. Dazu gehört auch der Automobilhersteller BMW, der den Werkstoff Carbon mit dem BMW i3 und BMW i8 als erster Hersteller weltweit zur Serienreife brachte. Aber auch in anderen Bereichen spielt der Werkstoff eine immer wichtigere Rolle. Sowohl die Rotorblätter von Windkraftanlagen, die Propeller von Drohnen und Multicoptern (z. B. Drohnen-Modelle wie dem DJI Spreading Wings S900), die Bremsen von Sportwagen (z. B. Carbon-Keramik-Bremsen von Brembo) oder Rahmen von Mountainbikes (Carbon-E-Fully von Haibike) werden heute aus Carbon oder einem Carbon-Mix hergestellt. Und auch sonst wird man dem ultraleichten Wunder-Werkstoff immer häufiger begegnen.
Staubige Angelegenheit: Insassen-Rettung am BMW i3
Vollcarbon-Monocoques in Supersportwagen wie dem Bugatti Veyron oder Elektroautos wie dem BMW i3 sparen gegenüber einer konventionellen Bauweise ordentlich Gewicht ein. Das Gewicht des BMW i3 konnte allein durch den Einsatz von Carbon um mehr als 300 Kilogramm gesenkt werden. Außerdem bietet Carbon dank seiner Eigenschaften höchste Crashsicherheit (mehr zur Crashsicherheit im BMW i3). Doch diese Robustheit kann im Falle eines Crashs auch nachteilig sein, wenn beispielsweise Insassen mit dem standardmäßigen Equipment der Feuerwehren nur schwer befreit werden können.
Der Frage, wie sich das Material Carbon bei einem Großserienfahrzeug wie dem BMW i3 im Falle einer Insassenbefreiung verhält, ging jüngst der Automobilclub ADAC nach. Tatsächlich konnten die üblichen Spreiz- und Schneidewerkzeuge der Feuerwehr, im speziellen Versuch die Berufsfeuerwehr Augsburg, auch die Carbon-Struktur des BMW i3 ohne Probleme durchdringen. Trotzdem mussten sich die Einsatzkräfte einer völlig neuen Herausforderung stellen: Denn während Stahl und Blech reißt, splittert und bricht der Werkstoff Carbon. Zudem wird beim Schneiden von Kohlefaser feiner Staub freigesetzt, was Atemschutzmasken selbst beim Öffnen eines verunfallten Carbon-Fahrzeugs obligatorisch macht.
Vorsicht Kabel
Abgesehen von den verwendeten Materialien, können aber auch Kabel und Akkumulatoren in den Elektrofahrzeugen gefährlich werden. Damit die Rettungskräfte wissen, wie sie sich im Notfall orientieren müssen, gibt es sogenannte Rettungskarten. Auf den Rettungskarten sind Neuerungen und Schnittpunkte vermerkt, die das entsprechende E-Auto von einem herkömmlichen Fahrzeug unterscheiden. Diese Rettungskarte sollte im Fahrzeug – möglichst hinter der Sonnenblende – deponiert werden.
Fotos: ADAC Presseportal